Frauen der Öffentlichkeit

Von Mädchen, Ehefrauen und öffentlichen Frauen

2015 in: Zeitschrift des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung/ IZFG Bern, Frühling, S.10-12.

Sprache – Macht – Geschlecht

Nach über 40 Jahren Gleichberechtigung und gender-repräsentativer Sprache in Europa gibt es nun mehr mächtige und einflussreiche Frauen an der Spitze. Reine Männerdomänen wie Politik, Militär oder Finanzwesen haben zwar einen überaus geringen Frauenanteil, wurden aber für sie geöffnet. Die wenigen Frauendomänen wie Pflegeberufe, bestimmte Dienstleistungsberufe und der Lehrer_innenberuf sind bis anhin noch überwiegend weiblich geblieben, obwohl sofort mit der Möglichkeit zur Ausbildung von männlichen Krankenschwestern keine Krankenbrüder, sondern Krankenpflegerausgebildet werden.

Offizielle Berufs- und Funktionsbezeichnungen,die vormals nur einem Geschlecht vorbehalten waren, wurden europaweit feminisiert bzw. maskulinisiert. So werden  Politikerinnen in der Regel auch geschlechtskonform bezeichnet. Angela Merkel, als erste Bundeskanzlerin Deutschlands, wird auch als solche benannt. In der direkten Anrede hat sich inzwischen ebenfalls „Frau Bundeskanzlerin“ durchgesetzt; dasselbe gilt meistens für alle anderen weiblichen Staatsoberhäupter.

Dass dies nicht unbedingt für alle gelten muss, zeigt ein Vorfall während einer Debatte im französischen Parlament. So bezeichnete der Abgeordnete, Julien Aubert, die Parlamentspräsidentin, Sandrine Mazetier, während einer Sitzung mit „Madame le président“ und nicht geschlechtskonform mit der femininen Form „Madame la présidente“. Die Präsidentin Mazetier rief ihn zuerst zur Ordnung, doch als er sie wiederholt mit der maskulinen Form ansprach, verhängte sie eine Strafe von € 1378 gegen ihn. Der Abgeordnete Aubert rechtfertigte sich damit, dass „Madame la présidente“ die Ehefrau eines Präsidenten bedeute und er daher eine amtierende Vorsitzende auf keinen Fall als solche bezeichnen werde, da die korrekte Funktionsbezeichnung der Parlamentsvorsitzenden „Madame le président“ laute.

Foto: CC Richard Ying pour LePost.fr

Neben diesen individuellen Widerständen gegen die Feminisierung von hohen Ämtern, existieren richtige Feminisierungsverbote von traditionell männlichen Bezeichnungen in ganzen Institutionen, wie etwa beim Militär im deutschsprachigen Raum. So darf aus dem Soldateneine Soldatin werden, nicht aber aus dem Offizier eine Offizierin, was jedoch den tatsächlichen Karrieremöglichkeiten der Frauen beim Militär entsprechen würde. Rangbezeichnungen beim österreichischen Bundesheer dürfen nur soweit feminisiert werden, als dass vor jeden männlichen Dienstgrad die weibliche Anredeform Frau statt Herr gesetzt werden kann. Selbst bei Frau Gefreiter bleibt die männliche Form, wie auch bei Frau Hauptmann und Frau Offizier.

Aber zurück zu Merkel und ihrem Werdegang. Bekannt wurde sie als „Kohls Mädchen“. Unter Mädchen wird gemeinhin ein weibliches Kindverstanden, aber eine Erwachsene? Wechselt frau/man zur Bezeichnung für männliches Kind, so ist sofort klar, Kohls Bübchen/Jungchen geht nicht. Aber warum ist das so?

Ein Bub/Jungeist und bleibt ein Bub/Junge, ein Mädchen ist auch ein Mädchen, aber nicht nur; denn ob es nun erwachsen ist oder nicht, spielt im hetero-maskulinen Gender-Skript keine Rolle. So kann die Minderjährige auch eine Erwachsene sein, denn sie soll, darf oder kann sich sowieso nur von einem Mann zum anderen bewegen. Eine eigene, weibliche Mündigkeit ist hier nicht vorgesehen, wäre sogar hinderlich. Früher wurde sie vom Vater in die Hände des Bräutigams gegeben, sobald sie mannbar geworden war, präfeministisch oder patriarchal gedacht. Ein Rest dieser Übergabe ist bis heute in unseren westlichen Gesellschaften erhalten: Bei klassischen kirchlichen Zeremonien wird die Braut vom Vater hereingeführt und dem zukünftigen Mann übergeben.

Sein Mädchen bedeutet die Tochter als Minderjährige, fast analog zum Buben/Jungen. Derjenige, der so spricht und auf den sich das Possessivpronomen „sein“ bezieht, kann nur ihr Vater sein. Wenn aber ein nicht-verwandter Mann von „seinem Mädchen“spricht, dann meint er Mädchenals Erwachsene und zwar als seine Sexualpartnerin und/oder Freundin. Das Bild vom damaligen deutschen Bundeskanzler als Übervater Merkels und damit sie als seine politische Ziehtochter sollte vermittelt werden. Die Nebenbedeutung Liebhaberin/Freundinkann aber assoziativ nie ganz ausgeschlossen werden. Handelt es sich um einen männlichen Nachfolger, dann ist weder von Kohls Bub/Jungenoch Bübchen/Jungchendie Rede. In diesem Fall heisst es ganz selbstverständlich, Helmut Kohl habe ganz überraschend, aber eindeutig Wolfgang Schäuble zu seinem Kronprinzen gesalbt.

Die Bezeichnung Kronprinz in diesem metaphorischen Sinn meint einen legitimen Nachfolger, ohne jegliche verkleinernde, sexuelle bzw. sexualisierte Nebenbedeutung. Eine Kronprinzessin, obwohl symmetrisch schon sehr lange in Monarchien mit weiblicher Erbfolge üblich, hat es nicht zur symmetrischen metaphorischen Bezeichnung für eine Nachfolgerin eines politischen Amtes gebracht. Natürlich beziehen sich beide Bezeichnungen „Kohls Mädchen“als auch „Kronprinz“ auf eine übertragene Vaterschaft. Der kleine Unterschied liegt im imaginierten Vater; ein Mädchen hat einen namenlosen Vater, einen unter vielen, ein Kronprinz aber einen Adeligen, einen König.

Es kann der Eindruck entstehen, dass zwischen einer Frau und einem Mann an der Spitze nicht nur kleine, sondern grosse Unterschiede gemacht werden. So wurde die Ex-Premierministerin Australiens, Julia Gillard (Labour Party), vom Oppositionskandidaten Mal Brough im Menü für eine Spendengala seiner Liberal National Party (LNP) bedacht. Nach ihr benannt wurde ein Wachtelgericht mit explizit sexuellen Bezeichnungen, die auch für Geflügelteile gelten – aber eben nicht nur. Auch Frauen weisen als sexuelle Körperpartien Brüste und Schenkel auf. Wenn erstere auch noch klein und zweitere auch noch gross, also fett sind, wird Gillard von der mächtigsten Politikerin und damit einer öffentlichen Person, der wie jedem Menschen Privatsphäre zusteht, zur öffentlichen Frau, also zum heterosexuellen männlichen Sexobjekt, das aus Macho-Sicht zu wenig der sexuell attraktiven Frau entspricht.

Diese Reduzierung auf ein Objekt heterosexueller Begierde, nimmt der Spitzenpolitikerin Gillard alle menschlich-weiblichen Anteile. Damit ist sie nicht länger ein politisches Subjekt, denn ihre intimen Körperteile und damit ihre Sexualität sind nunmehr keine Privatsache mehr, sondern Gegenstand einer heterosexuellen Bewertung und Taxierung durch die Oppositionspartei LNP. Eine Staatsfrau hat weder den Anforderungen eines Objekts sexueller Begierde zu entsprechen, noch darf die Trennlinie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit einer Regierungschefin einfach ausser Kraft gesetzt werden. Genau diese Diffamierungsstrategie scheint aber bei weiblichen Staatsoberhäuptern oft vorzukommen. Denn so eine Premierministerin ist ja auch nur eine Frau, und unterliegt daher den gleichen Regeln wie alle anderen Frauen auch. Aus der Sicht eines präfeministischen Mannes gedacht, heisst das, dass sie in erster Linie dem Mann im besten Fall zu- oder nebengeordnet, meist aber untergeordnet ist.

Warum kann eine Staatsfrau durch die Zurschaustellung von Geschlechtsmerkmalen, die auch Tiere und nicht zuletzt auch Männer haben, so beleidigt werden? Eine nicht vorhandene eigenständige weibliche Sexualität – denn sie hängt immer vom Mann ab – und eine Tabuisierung und Pejorisierung weiblicher primärer und sekundärer Geschlechtsorgane in einer postpatriarchalen Gesellschaft machen eine derartige Demontage möglich.

Die Premierministerin wird zur Frau, zum Weib eigentlich, zum Essen auf dem Präsentierteller, das für alle da ist. Alle Männer können sich als Frauenvernascher sogar im wörtlichen Sinn fühlen, denn mit diesem Wachtelgericht ist sie zum Objekt der Begierde aller Männer geworden: Sie wurde auf die Ebene heterosexueller Bedürfnisbefriedigung gezerrt und somit als mächtigste Politikerin Australiens ausgelöscht. Reduziert auf mangelnde sexuelle Attraktivität – „kleine Brüste und fette Schenkel“ – und animalisiert durch die Gleichsetzung mit einer Wachtel, ist sie die „sexualisierte Asexuelle“ einer präfeministischen Gesellschaft, der im patriarchalen Gender-Skript kein Spielraum für eigene sexuelle Aktivitäten/Potenz zur Verfügung steht.

Wird aus der Asexuellen, die positiv konzeptualisiert ist, eine sexuell Aktive, wird sie gemäss der androzentrischen Logik zur ‚Schlampe‘. Da die Potenz dem Mann gehört, ist nur eine nicht aktiv sexuelle Frau eine ‚gute Frau‘. Sexuell aktive Frauen werden verunglimpft und unliebsame Gegnerinnen werden auf ihren einzig wahren Status als Menschenweibchen in einer patriarchalen Gesellschaft gebracht, um damit auf perfide Weise der Inkompetenz und Unprofessionalität überführt zu werden. Denn dieser Status als Menschenweibchen, dem heterosexuellen Mann als einzigen Vertreter des Allgemeinmenschlichen untergeordnet, seiner Bewertung als Sexualobjekt ohne sexuellen Subjektstatus ausgeliefert, brodelt unter der Oberfläche der rechtlichen Gleichstellung der Frau. Es braucht also nicht viel, um selbst die erste und mächtigste Frau im Staat zu demontieren, denn jederzeit kann die Asexualitätskarte gezogen werden. Jede Form von Sexualität, auch die Zurschaustellung von Geschlechtsmerkmalen, kann bis heute ihr öffentliches Ansehen ‚kontaminieren‘.

Nur all das fällt nicht ins Aufgabengebiet der damals amtierenden Premierministerin Gillard, das ist mitnichten ihre Jobdeskription. Sie war die Regierungschefin eines Landes und keine Frau mit zweifelhaften Reizen, offen für jedermann. Genauso wenig entspricht es der Ministerin Merkel, als „Kohls Mädchen“ bezeichnet zu werden. Eine solch  präfeministische Weiblichkeit weist selbst der Spitzenpolitikerin einen Platz unter den Fittichen eines Mannes zu, der sie zuerst zu seinem Mädchenmacht, dann zu seiner Ehefrau, Hausfrau und Mutter, dem eigentlichen Ziel eines Frauenlebens. Und somit dem einzigen Triumfeminat, das in einer patriarchalen Welt zugelassen ist.

1Die analoge Berufsbezeichnung Krankenbruder zur tradiEonellen Krankenschwester wurde vermieden und eine neue und äußerst neutral beschreibende, nämlich Krankenpfleger, eingeführt.

2Nachdem die SozialisEn Sandrine MazeEer eine Geldbusse an den konservaEven Julien Aubert verhängt haae, brach in der französischen NaEonalversammlung eine hitzige Debaae über geschlechtergerechte Sprache aus. hap:// www.frauensicht.ch/ArEkel/KulturKirche/Geldstrafe-fur-mannliche-Anrede, 07/11/2014.

3Pober, Maria (2007): Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen, Königshausen&Neumann: Würzburg. S. 88.

4Junge, der; -n, -n und umgangssprachlich, besonders norddeutsch und miaeldeutsch Jungs, -ns [miaelhochdeutsch junge, althochdeutsch jungo]: 1. a) (besonders norddeutsch) Kind männlichen Geschlechts; Knabe: © DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM]

5Mädchen, das; -s, – [für älter: Mägdchen, eigentlich Verkleinerungsform von Magd]: 1. a) Kind weiblichen Geschlechts: © DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM]

6mannbar <AdjekEv> (gehoben): 1. a) [miaelhochdeutsch manbære] (von Mädchen) heiratsfähig: mannbare Mädchen; K Vor dreißig Jahren war ich noch ein Kind. ‒ Aber doch schon ein ziemlich mannbares (Lessing, Die alte Jungfer II, 3); b) (von jungen Männern) geschlechtsreif, zeugungsfähig. 2. (selten) männlich in seinem Verhalten, seiner Haltung o.© DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM]

7Die Bezeichnungen für Kinder sind im Deutschen wortbildungsmäßig asymmetrisch, Mädchen ist eine Verkleinerungsform und Bub/Junge ist eine Basisform, was eine genuskonforme Referenz bei Mädchen schwer macht und einer komplizierten Regelung für eine geschlechtskonforme ÜbereinsEmmung bedarf, vgl.ad Geschlechtsmerkmale, vgl. Pober, Maria (2007): Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen, Königshausen&Neumann: Würzburg. S. 328.

8Kronprinz, der: Sohn, Enkel eines regierenden Kaisers oder Königs/einer regierenden Kaiserin oder Königin als Thronfolger: Ü der Kronprinz eines Königreichs; Aus lauter Hingabe an den greisen Maestro … haben es die Philharmoniker versäumt, sich rechtzeiEg einen würdigen Kronprinzen (Nachfolger) anzulachen (Spiegel 2, 1983, 145); Da salbte Helmut Kohl überraschend eindeuEg Wolfgang Schäuble zu seinem Kronprinzen (Woche 28. 1. 97, 12). © DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM].

9Kronprinzessin, die: 1. Gemahlin eines Kronprinzen. 2. Tochter, Enkelin eines regierenden Kaisers oder Königs/einer regierenden Kaiserin oder Königin als Thronfolgerin. © DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM].

10Die Bezeichnung lautete, wie verschiedene australische Medien meldeten, unter anderem ABC News: ‚Julia Gillard Kentucky Fried Quail – Small Breasts, Huge Thighs & A Big Red Box’“, hap://www.sueddeutsche.de/poliEk/eklat-im- australischen-wahlkampf-opposiEonspoliEker-beleidigt-premierministerin-gillard-sexisEsch-1.1695097, 11/11/2014.

11ad Geschlechtsmerkmale, vgl. Pober, Maria (2007): Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen, Königshausen&Neumann: Würzburg. S. 324.

12ad die Frau als „sexualisierte Asexuelle“ vgl. Pober, Maria (2007): Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen, Königshausen&Neumann: Würzburg. S. 212.

13Triumfeminat ist nicht im (DUDEN: 2012) belegt, die Googlerecherche liefert jedoch ungefähr 1.830 Ergebnisse, haps:// www.google.at/search?q=triumfeminat&ie=ug-8&oe=ug-8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox- a&channel=sb&gfe_rd=cr&ei=N-NhVNGEMoqh8wfBp4D4Cw#rls=org.mozilla:de:official&channel=sb&q=triumfeminat, 11/11/2014; nur das Triumvirat, das; -[e]s, -e [lateinisch triumviratus, zu: triumvir, Triumvir]: (in der römischen An`ke) 1Bund (1 a) dreier Männer (als eine Art Kommission zur Erledigung bes`mmter Staatsgeschäae): ein Triumvirat schließen, einsetzen; Ü Drese, Peymann und Wächter also heißt das nächste Triumvirat an den Bundestheatern (profil 26. 3. 84, 78). © DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM]

Erschienen in: Pober, Maria (2015): Frauen der Öffentlichkeit – von Mädchen, Ehefrauen und öffentlichen Frauen. In: Zeitschrift des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung/ IZFG, Frühling, S.10-12.