Redefinition des Hyperonyms Mensch*in

Buchprojekt 

Redefining the Hypernym Mensch*in: Gender, Sexuality and Personhood in German
Redefinition des Hyperonyms Mensch*in: Gender, Sexualität und Menschsein im Deutschen

Verlag: Lexington Books

1 Detaillierte Beschreibung 

Im Mittelpunkt steht etwas, das gemeinhin als etwas Selbstverständliches angesehen wird – nämlich, das was uns alle auch zu Mensch*innen macht, unsere Geschlechtlichkeit. Sie war lange Zeit zweigeschlechtlich weiblich und männlich. Erst mit der rechtlichen Gleichstellung der Frau, Ende der 70er Jahre wurde diese Binarität, als hegemonial heteromaskulin entlarvt, und in ihrer Allgemeingültigkeit erschüttert. Auf die Emanzipation der Frau folgte dann die Anerkennung sexueller Orientierungen wie Homosexualität oder die Überschreitung des binären Geburtsgeschlechts, die Transsexualität. Erst kürzlich folgte dann die rechtliche Anerkennung des dritten Geburtsgeschlechts im deutschsprachigen Raum – mit einer Eintragung der Intergeschlechtlichen ins Personenstandsregister. Alle diese Veränderungen sollten auch Einfluss auf die Definition und Versprachlichung des Allgemeinmenschlichen haben. Es stellt sich daher die Frage, ob dies bereits geschehen ist und wie dies im Detail in den wichtigsten deutschsprachigen Nachschlagewerken vorgenommen wurde und noch wird. Oder lassen sich Ungleichzeitigkeiten bei den Personenreferenzen, die nicht neueren Datums sind, wie etwa die Versprachlichungen von Transgender oder Homosexuellen weiterhin strukturell als “Abweichung” von der Norm feststellen?

Vor der Emanzipation der Frau war Mensch*in klar gleichzeitig ein heterosexueller Mann, der im Deutschen auch sprachlich als Maskulinum grammatisch realisiert wird – der Mensch (m.). Alle Anderen, die weder männliches Geschlecht noch die entsprechende heterosexuelle Orientierung aufwiesen, waren entweder nur partiell menschlich wie z.B. die (Ehe)Frau oder weit entfernt von einer entsprechenden Versprachlichung als Subjekt. Die Frau war daher innerhalb dieser heterosexuellen Ordnung dem Mann neben-, in den meisten Bereichen jedoch untergeordnet. Alle Anderen standen aufgrund ihrer sexuellen Orientierungen wie etwa Transgender bzw. männliche Homosexuelle außerhalb dieser Ordnung oder waren auch in der Illegalität angesiedelt. Kurzum die menschliche Norm stellt(e) alleine der heteromaskuline “Mannmensch” dar. Dieses Herausfallen aus dieser Norm zeigt(e) sich in den gehäuften Pejorisierungen genauso für Frauen, die nicht dem präfeministischen Ideal der sexuellen Inaktivität entsprachen durch Abwertungen wie Schlampe oder Miststück. Auf die Abwertung ihres Personenstatuses und ihrer Geschlechtsidentität zielten Tunte und Transe. Auch Lesbe und Schwuler waren als Beleidigungen gedacht und demensprechend pejorativ, erfuhren durch Selbstaneignung eine Aufwertung. Allgemeinsprachlich sind sie aber nicht als tatsächlich wertneutral zu betrachten, da sie außerhalb der LGBTQ+-Community in der Allgemeinsprache noch keinen entsprechenden Niederschlag gefunden haben. 

Es besteht Konsens darüber, dass jede*r Mensch*in Anspruch auf eine “wertneutrale” Bezeichnung als Vertreter*in des Allgemeinmenschlichen haben soll. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass es keine pejorisierenden und auch meliorisierenden Referenzen mehr geben soll, denn Lexika sollten das ganze sprachliche Spektrum erfassen und zugänglich machen. Es heißt also lediglich, dass die gendersprachliche Lücken von wertneutralen und  meliorisierenden Personenbezeichnungen für alle diejenigen, die sich außerhalb der Heteromaskulinität befanden/befinden im Wortschatz geschlossen werden muss. Für Einzellemmata heißt dies dann, dass Transgender nicht nur pejorativ als Transe, sondern auch in ihren wertneutralen Eigenbezeichnungen wie Transgender (f + m), Transfrau u. -mann repräsentiert werden, um das ganze Spektrum an Referenzen aufzuweisen. Soweit zur Ebene der Einzeleinträge. Auf metasprachlicher Ebene zeigt sich, dass die einzigen Personenreferenzen für Intersexuelle Zwitter (m), Hermaphrodit (m) und Gynander (m) sind, die genauso auf Tiere und Pflanzen und sogar auf Dinge referieren können, eine Form der paradigmatischen und systemischen Pejorisierung von Intergeschlechtlichen.

Mensch*innen gehören gemäß ihrer sprachlichen Klassifikation zu den Lebewesen wie Tiere und Pflanzen, allerdings werden sie in der Regel semantisch klar voneinander getrennt, wobei das menschliche unter den Lebewesen eine Sonderstellung einnimmt und den anderen übergeordnet ist. Eine noch tiefergreifende Unterscheidung trennt das Menschliche vom Dinglichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei Intersexuellen sogar 2 Ebenen der metasprachlichen Differenzierung des Allgemeinmenschlichen nicht eingehalten wurden, die erste zwischen Belebtem und Unbelebtem und die zweite zwischen Mensch bzw. Tier und Pflanze. Was heißt das in diesem Zusammenhang? Und weiter wenn Intersexuelle nicht, wie alle anderen über das Merkmal [+MENSCHLICHE EXKLUSIVITÄT] ganz selbstverständlich in der Sprache verfügen? Denn dieses Alleinstellungsmerkmal des Menschlichen als erstes unter den Lebewesen, wie dies für die Definition von Mensch*in die Regel ist, wird Intersexuellen durch diese undifferenzierte Versprachlichung genommen. Menschlichkeit wird ihnen per se abgesprochen und verweigert, was nach ihrer rechtlichen Anerkennung und Enttabuisierung natürlich so nicht mehr haltbar ist. 

Daraus ergeben sich folgende Zielvorgaben zur Versprachlichung des Allgemeinmenschlichen aller genannten Emanzipationsbewegungen und nicht wirklich abgeschlossenen lexikologischen Etablierung aller als vollwertige Mensch*innen. Die Lexikalisierung aller Eigenbezeichnungen, Neologismen und damit die gendersprachliche Schließung aller Lücken und der Vermenschlichung aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten. Dazu bedarf es zum einen der quantitativen Schließung all dieser gendersprachlichen Lücken im Bereich der Einzellemmatisierung – auf der Mikroebene des Wörterbuches durch additives Hinzufügen zumindest der Einbeziehung der Verweislemmata. Bleibt es aber bei einer rein quantitativen und nur additiven Vorgangsweise, wie sich am Beipsiel der Einzellemmatisierung von divers in der Bed. (3) als amtsprachliche Bezeichnung für intersexuell gut zeigen lässt, so bleibt alles beim Alten. Denn die Lemmatisierung erfolgte nur punktuell und es findet sich kein Verweislemma divers unter dem Haupteintrag intersexuell, auch intersexuell als bereits existierendem Eintrag fehlen die entsprechenden Lemmata auf der Ebene der Wortbildung wie die*der Intersexuelle und der Begriff Intersexualität als Hyperonym zu Sexualität. 

Diese rein additive Lexikalisierung von Intergeschlechtlichen zeigt, dass sie weder allgemeinmenschlich gedacht werden, noch als Gleiche unter Gleichen sprachlich verankert sind. Das Allgemeinmenschliche bleibt weiterhin implizit heteromaskulin prädeteriminiert und dem Überbegriff Sexualität wird weiterhin nur weiblich und männlich zugeordent, aber nicht intersexuell. Die Rekonzeptionalisierung des Allgemeinmenschlichen auch als körperlich und sexuell bestimmtes Lebewesen (reduziert um die heteromaskuline Hegemonie) im erweiterten Feld dessen, was heute innerhalb der Lexik noch nicht das Hyperonym Sexualität meint – und zwar Geschlechtlichkeit, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierungen – ist noch umzusetzen.

Zum anderen bedarf es einer Vermenschlichung von Intersexualität im Speziellen (Exklusivsetzung als Mensch*in), einer Ent-Heterosexualisierung des Allgemeinmenschlichen und der beiden Geburtsgeschlechter weiblich und männlich. Weiters ist auf metasprachlicher Ebene eine Rekonzeptionalisierung des Überbegriffs Sexualtität zu etablieren, dem die wichtigsten Begriffe – Geschlechtlichkeit (weiblich, männlich und intersexuell), alle Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen zugeordnet sind. Für die allgemeinmenschliche Konzeptionalsierung dieser “Hauptbegriffe” sind auch noch viele andere, die im weitesten Sinne zum Wortfeld “Sexualität” gehören zu rekonzeptionalsieren und neu zu definieren – Synonyme, Antonyme und Kohyponyme in ihren semantischen Realtionen auf der Ebene der Verweislemmata.

All diese Fragestellungen, Problematiken und nicht zuletzt Ungleichzeitigkeiten von Emanzipationsbewegungen – wie sie eine Wortschatzanalyse aufwirft – die theoretisch als abgeschlossen gelten, es aber noch nicht sind, erfordern die bereits weiter oben angeführten lexikographischen Maßnahmen: die Schließung der gendersprachlichen Lücken und die Rekonzeptionalisierung des Allgmeinmenschlichen vor dem Hintergrund der Heteromaskulinität. Aufgrund der großen Verschiebungen in den Wortfeldern “Menschsein” und “Sexualität” ist eine Analyse und Methodik notwendig, die teilweise auf das präfeministische Genderskript zurückgehen müssen, um die verschiedenen Schichten dieser beiden Wortfelder offenzulegen. Hinzu kommen noch ihre vielfältigen Verästelungen innerhalb der semantischen Relationen und innerhalb der Mikro- wie der Makrostruktur im Lexikon, die es aufzufinden und aufzudecken gilt.

2 Eine kurze Kapitelbeschreibung 

Im ersten Kapitel “Konzeptionalisierungen des Allgemeinmenschlichen” werden grundlegende Annahmen, nämlich metasprachliche Paradigmen, welche die Spezies Mensch*in in Abgrenzung zu anderen Lebewesen und Dingen definieren, hinterfragt. Sie spielen bei der Versprachlichung von Subjekten und Objekten eine wichtige Rolle, werden genderkritisch untersucht und analysiert. Daraus ergeben sich folgende Fragestellungen: Wer dient als Rolemodel für die bzw. den Prototyp*in des Menschseins im Deutschen? Handelt es sich dabei vielleicht gar nicht um einzelsprachliche Phänomene, sondern um Unviversalien, die auch in anderen indoeuropäischen Sprachen wie etwa dem Englischen oder Französischen bei der Versprachlichung von menschlichen Individuen von Bedeutung sind? Dies ist auch in Hinblick auf das Genussystem dieser beiden Sprachen interessant, da erstere einen Genusschwund, letztere aber ein durchstrukturierteres Genussystem im Vergleich zum Deutschen aufweist.

Diese drei metasprachlichen Paradigmen bilden die Basis, um Allgemeinmenschliches abzugrenzen, zu definieren und grammatisch in feminin, maskulin und neutral zu ordnen: So dominiert Belebtes Unbelebtes, Menschliches Tierisches und Pflanzliches und nicht zuletzt die historisch bestimmte Ebene – Männliches dominiert Weibliches. Dies bedeutet für das Allgemeinmenschliche, dass ihm immer schon die heteromännliche Hegemonie mit der heteroweiblichen Unterordnung eingeschrieben ist, – und diese präfeministsiche Geschlechterordnung implizit dem Wortschatz eingeschrieben und daher auch versprachlicht ist. Mensch (m) als Repräsentant*in auf personaler Ebene gilt in der Regel bis heute in der Forschung als unmarkiertes Hyperonym, dem Mann und Frau als Kohyponyme untergeordnet sind. Dieses historische – bis in die Gegenwart reichende Muster einer Eingeschränktheit des Menschlichen auf Heteromännlichkeit wird aufgrund gesellschaftlicher Umwälzungen (Emanzipation der Frau/des Mannes, Anerkennung aller sexuellen Orientierungen sowie der rechtlichen Anerkennung von Intersexuellen) hinterfragt. Der überlegene Status von Heteromännlichkeit soll innerhalb der Konzeptionalisierung und Versprachlichung von Begriffen wie  Sexualität – Geschlechtlichkeit, Geschlechtsidentität sowie sexueller Praktiken – aufgehoben werden.

Im zweiten Kapitel “Mensch*in und Geschlecht” stehen die Personenrefernzen Mensch (m), Person (f) und Wesen (n) und ihre partiellen Synonyme im Mittelpunkt. Als Korpus dient die letzten Ausgabe des Großen Duden (DUDENdig, 2012). Nur diejenigen Synonyme von Mensch, Person und Wesen, die mit 50-100% mit dem untersuchten Lemma übereinstimmen, werden tabellarisch erfasst, ausgewertet und nach ihrem grammatischen und semantischen Genus geordnet. Weiters werden auch die entsprechenden Komposita mit dem Grundwort -mensch, -person und -wesen daraufhin untersucht. Personenreferenzen für Mensch*innen wie solche, die nur im Plural (Pluraletantum) wie Leute vorkommen bzw. solche, die eher singularisch gebraucht werden wie Subjekt oder Individuum runden das Wortfeld der Überbegriffe für Mensch*innen im weitesten Sinne ab. Die tatsächliche Überprüfung des postulierten geschlechtsneutralen Allgemeinmenschlichen dieser drei wichtigsten hyperonymischen Personenreferenzen und ihrer Synonyme stellt das Forschungsziel dieser quantitativen und qualitativen Untersuchung dar.

Im dritten Kapitel“Kategorienwechsel und Geschlechterordnung” steht die menschliche Exklusivität und ihre Wechselbeziehungen bzw. –bewegungen innerhalb der drei Ebenen im Wortschatz Thema. Diese herausragende Stellung unter den Lebewesen lässt sich durch folgende sprachliche Merkmale bestimmen: einerseits durch eine Genus-Sexus-Kongrunz und somit eine klare Abgrenzung zu Tieren, Pflanzen und Dingen, andererseits durch eine klare Differenzierung zu anderen Mensch*innen. All dies weist nur der Cismann aufgrund seiner heteromännlichen Hegemonie auf, die sprachlich, spezifisch in der Grammatik, durch die generische Funktion des Maskulinums realisiert wird. Nur die Bezeichnung Mann hätte damit die Voraussetzungen für alle Spielarten eines Genus- bzw. Kategorienwechsels

Im Bereich des Wortfeldes “Erstreferenzen auf Frau und Mann” trifft z.B. eine durchgehende maskuline Genus-Sexus-Kongruenz nur für den Mann zu, während bei der Frau eine diesbezügliche Inkongruenz festzustellen ist: Frau (f)/Weib (n): Mann (m), Mädchen (n) : Bub/Junge (m). In diesem Feld liegt eine systemische Verdinglichung bei Weib bzw. Diminuierung bei Mädchen vor, zwei von drei Bezeichnungen sind nicht genuskongruent, während die männlichen eine durchgehende Kongruenz des biologischen mit dem grammatischen Genus aufweisen. Hier zeigt sich bereits dass eine Verdinglichung bzw. Diminuierung nur beim Lexem Frau zu Frauchen, mehr möglich ist, da bei den anderen bereits ein Genuswechsel a priori in der Erstbezeichnung vorliegt, neutrales statt feminines Genus, Weib (n) und Mädchen (n).  

Bei den männlichen hingegen ist bei allen vergleichbaren Referenzen Bub (m), Junge (m) und Mann (m) eine Verdinglichung bzw. Diminuierung Bübchen, Jüngchen und Männchen möglich. Ein weiteres Beispiel eines äußerst eingeschränkten Kategoriewechsel zeigt sich bei Zwitter (m) in der Artikeldefintion. Abgesehen vom maskulinen Genus weist diese Definiton eine Gleichsetzung von Intersexuellen mit Tieren und Dingen auf, denn Zwitter ist weder exklusiv menschlich determiniert, noch lexikalisiert. In diesem Zusammenhang stellen sich dann folgende Fragen: Ist diese Einschränkung beim Wechsel von einer Kategorie in eine andere für bestimmte Personenreferenzen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung tatsächlich regelhaft? Ist dieser Kategoriewechsel vom menschlichen Lebewesen zum Ding, zum Tier oder zum Göttlichen tatsächlich nur dem Heteromännlichen vorbehalten?