Eine Expertin, und zwar die offizielle Vertreterin des WWF, Marianne Götsch, wird vom Vize-Landeshauptmann Tirols, Josef Geisler, als „widerwärtiges Luada (Luder)“ bezeichnet – und das nicht im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich – anlässlich der Petitionsübergabe von 20.000 Stimmen gegen den Bau des Wasserkraftwerk Tumpen-Habichen. Götsch sprach nicht nur alleine, auch ein Mitstreiter, Alfred Kuen, tat dies ziemlich lange[1], er wurde weder unterbrochen, noch beschimpft, wie dies zwar leise, aber für alle hörbar, Götsch widerfuhr[2].
Es ist ganz klar, wer sich seiner Sache ganz sicher sein kann, nämlich Geisler, denn er darf unterbrechen und sie habe das gefälligst so hinzunehmen. Die Expertin Götsch wird durch Luder ganz schnell nur zur Frau mit Weibchenstatus und dann ist es für einen Mann und Politiker ein Leichtes eine Aktivistin zu diskreditieren. Emotional und ärgerlich als Vize Tirols zu reagieren, wenn Götsch ihr Rederecht einfordert, ist eine Sache. Ihr dann aber den öffentlichen Raum als Aktivistin streitig zu machen und sie von der politschen in die private Sphäre zu zerren, indem er sie als „widerärtiges Luder“ beschimpft, etwas ganz Anderes.
Bei der Recherche zu diesem Blog stieß ich auf den Artikel „Geislers Luder-Sager: Sexismus-Vorwurf“ des ORF Tirol[3]. Darin las ich viel über ihn, den Vize, der eine WWW-Aktivistin „widerwärtiges Luder“ genannt hatte. Nur wer war sie? War sie tatsächlich eine Unbekannte und Unbenannte, was ich einfach nicht glauben konnte und begann von vorne – mit dem Ergebnis, er handelte von einer Frau und Geisler. Auf ihn wird elf Mal mit seinem Familiennamen Geisler Bezug genommen, er wird namentlich genannt und damit individualisiert. Auf die Umweltaktivistin Götsch wird kein einziges Mal mit ihrem Namen referiert, dafür dreimal mit Frau, zweimal mit WWF-Vertreterin und einmal als WWF-Aktivistin.
Auf ihn hingegen wird nie mit der Bezeichnung Mann referiert, wozu auch, über ihn wird als Landeshauptmann-Stellvertreter, Josef Geisler oder Geisler berichtet, aber nicht als Mann, denn durch den Artikel und die Endung -er ist klar, hier handelt es sich um eine männliche Person. Warum versteht sich genau diese Tatsache des impliziten Geschlechts nicht auch bei der WWF-Expertin Götsch von selbst? Alle weiblichen Funktionsbezeichnungen sind grammatisch feminin durch den Artikel oder die Endung -in klar gekennzeichnt. Die Bezugnahme mit Frau ist inhaltlich im politischen Diskurs so überflüssig wie beim Mann. Handelt es sich hier vielleicht einfach um schlechten Stil? Eine unbefriedigende Erklärung, denn dieser träfe dann nur auf die weiblichen, nicht aber auf die männlichen Personennamen zu.
Im ganzen ORF-Artikel wird auf Götsch kein einziges Mal als individuelle Person referiert, wofür ihr Familienname notwendig wäre, der Informationsgehalt ist in Bezug auf Götsch gleich null. Bei der Entpersönlichung von Götsch durch das Verschweigen ihres Namens bei gleichzeitiger Redundanz des Heteroweiblichen durch die Bezeichnung Frau liegt eine implizite Reduzierung einer politischen Akteurin auf ihren Weibchenstatus vor, beim Schimpfwort Luder ist dies explizit der Fall. In der Referenz Frau für eine Politikerin läge ja nun nichts Verwerfliches per se, natürlich nicht. Im Kontext und im Vergleich mit der Darstellung ihres männlichen Pendants aber sehr wohl. Denn ihm wird diese zweifelhafte Ehre einer Extra-Geschlechtlichkeit nicht zuteil, ihr aber schon.
Er als Vize ist ganz selbstverständlich eine Persönlichkeit in der Öffentlichkeit und sie, auch als politische Aktivistin, kann immer noch ganz selbstverständlich ein Frauchen oder Weibchen werden. Das Luder alleine, ohne das Adjektiv widerwärtig gehört, wenn überhaupt nicht in die politische Debatte. Allein die Aufhebung der Trennung in öffentlich und privat bei der Aktivistin Götsch und die Reduzierung auf ihre präfeministische Rolle, nämlich auf die des Sexualobjekts durch ein emotionales Bezugswort, ist bereits abwertend. Hinzu kommt noch die heterosexualisierte und pejorative Aufladung von Luder und die Verdinglichung einer Person durch ein neutrales Genus. Eine selbstverständlich angenommene Objekthaftigkeit der Frau und damit jeder Frau, ganz unabhängig von ihrer Expertise und Funktion, kennzeichnet weibliche Personenreferenzen bis heute[4].
Was die semantisch-sexualisierte Aufladung dieses Schimpfwortes betrifft, so bedeutet Luder[5] bis heute eine Frau, die als durchtrieben und liederlich angesehen wird, soweit der Duden.Hierzu muss frau*man aber wissen,dass liederlich einen veralteten Euphemismus darstellt und für heterosexuell aktiv steht,wenn sich diese Aktivität auf Frauen bezieht. Insofern sind alle weiteren Attribuierungen zu Luder sexualisiert zu lesen,wenn es weiter heißt, das Luder gilt als durchtrieben, frech, raffiniert und gerissen. Durch den Luder-Sager wurde in einer politischen Kontroverse seitens Geisler eine heteromaskuline Sichtweise des begehrten Objekts Frau aktiviert, worüber noch immer gesellschaftlicher Konsens besteht. In diesem wird heterosexuelle weibliche Aktivität negiert und pejorisiert, ihre Asexualiät aber positiv gewertet und auch meliorisiert. Diese Objektsetzung des Weiblichen kann ausnahmslos jede Frau treffen, deren Geschlechtsidentität als weiblich ausgemacht wird (hetero-, homo-, bisexuell, transgender…) und sie macht keineswegs Halt vor ihrem Status oder im Fall von Götsch, vor ihrer politischen Funktion. Ihr steht keine vergleichbare sexualisierte Objektsetzung des Mannes in der Politik gegenüber.
Eine Aktivistin öffentlich „widerwärtigs Luder“ zu nennen, manifestiert sich sprachlich auf mehreren Ebenen. Erstens wird durch die emotionalisierte Wortwahl Geislers die öffentliche politische Debatte unterlaufen und in eine private Situation verwandelt. Wie passiert das? Er, der Mann, macht die Umweltkämpferin zum Luder. Ein Luder ist noch immer eine Frau, die betrügt, lügt oder eben viele sexuelle Aktivitäten aufweist. Letztere werden bis heute aufgrund des Double Standards sanktioniert, und dadurch kann er, wie übrigens jeder andere Mann auch, Götsch von einer selbstbestimmten Politikerin zu einem oder sogar einem willfährigen Weibchen machen – die Umweltkämpferin wurde zum Verschwinden gebracht.
[1] Luderday – full story … und um was es eigentlich geht. https://www.youtube.com/watch?v=RfOikOFhhiE&t=103s, 03/02/2021.
[2] TIROL-GATE. Stellvertretender Ministerpräsident beleidigt WWF-Aktivistin heftig, https://www.youtube.com/watch?v=w_5Ir7yjEQk, 03/03/2021.
[3] Geislers „Luder“-Sager: Sexismus-Vorwurf -Massive Kritik und Rücktrittsforderungen gibt es nach einem Sager von Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP). Dieser hatte eine WWF-Vertreterin als „widerwärtiges Luder“ bezeichnet. Geisler entschuldigte sich inzwischen für die Aussage. Kritiker sprechen von „inakzeptablem Sexismus“; POLITIK, 04/06/2021; https://tirol.orf.at/stories/3051748/, 09/01/2021.
[4] Selbst bei den weiblichen Basislexemen tritt diese Verdinglichung der Frau bereits auf – das Weib, das Mädchen und das Fräulein. Sie sind asymmetrisch zu jenen des Männlichen, denn sie kennzeichnet eine durchgehende Vermenschlichung – der Mann, der Bub/Junge/Knabe und der Herr (Pober, 2007:242ff); ad Gegenüberstellung von Verdinglichung – Vermenschlichung (Pober, 2007:190ff); Pober, Maria: Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen, Königshausen & Neumann: Würzburg, 2007.
[5] Luder, das: 1. (salopp) meist weibliche Person, die als durchtrieben und liederlich angesehen wird: ein hinterhältiges Luder; ein armes Luder (jemand, der einem leidtut); sie ist ein freches, raffiniertes Luder (sie ist auf gerissene Art frech, raffiniert); sie ist ein kleines Luder (mit dem Unterton widerstrebender Anerkennung; eine gewitzte, kokette o. ä. Person); Und da hat dies Luder es noch nötig, mich um meine sauer verdienten drei Millionen zu betrügen? (Prodöhl, Tod 39); »Deine Weiber haben dich ruiniert«, sagte sie … »Besonders die Rothaarige, das Luder« (Bieler, Bär 57); Ich bin ein Luder und stolz darauf! (Hörzu 49, 1999, 67); »Das dumme Luder!« (diese dumme Person), konnte Duftermann wohl schimpfen (Fallada, Trinker 102); Sie sei ein zähes Luder (sei zäh), habe der Arzt gesagt (Kempowski, Tadellöser 304); Vorwärts, faules Luder (faule Person; Werfel, Himmel 106). 2. (Jägersprache) a) totes Tier, das als Köder für Raubwild verwendet wird; b) Federspiel, mit dem der zur Beizjagd abgerichtete Greifvogel angelockt wird; © DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,|4. Aufl. Mannheim 2012 [CD-ROM].