Alle in heller Aufregung – der Duden unter Missbrauchsverdacht?

Was ist passiert? Die Chefin der Dudenredaktion, Kathrin Kunkel-Razum, hat bekanntgegeben, dass sie es sich zum Ziel gesetzt habe, rund 12.000 Personenbezeichnungen wie etwa Ärztin und Arzt symmetrischin einer eigenen Definition darzustellen und nachschlagbar zu machen. Das bedeutet, die Ärztin[1] wird nicht mehr als weibliche Form zu Arzt angeführt, sondern bekommt einen eigenen Eintrag mit allem, was dazugehört – mit einer Wortdefinition und etymologischen Angabe, Beispielsätzen, Synoynmen und  typischen Verbindungen. Der übliche Verweis zur männlichen Form wird innerhalb einer Zeitspanne von zwei Jahren entsorgt und damit auch die symbolische Zu- und Unterordnung der Frau. Dies gilt nur für den Rechtschreibduden, der frei für alle online zugänglich ist, nicht aber für seine Printausgabe, da bleibt aus Platzgründen alles beim Alten[2]. Das bedeutet zumindest für die Onlineausgabe, keine*r muss mehr über Umwege zum Femininum finden, was ja aus Sicht der Benutzer*innen ein Unding darstellt, will doch jede*r auf den ersten Blick die gesuchte  Information erhalten.

Ein Vorhaben, das übrigens bereits in den 1999er Jahren in der Printausgabe des Großen Duden in 10 Bänden begonnen wurde[3], allerdings mit der Einschränkung, dass alle weiblichen Berufs- und Funktionsbezeichnungen und weitgehend auch die übrigen Personenreferenzen nur quantitativ als Verweiseintrag, aber nicht qualitativ und symmetrisch – als eigene Wörterbuchartikel – angeführt wurden[4]. Diesen damals halbherzigen Schritt – alle Feminina gleichwertig neben den Maskulina anzuführen –  setzt nun 20 Jahre später die Chefredakteurin des Duden sukzessive um. Es hagelte dafür harsche Kritik von Linguist*innen in den Medien, auch der Stern nahm sich dieses Themas an:

„Der Duden will in seiner Online-Ausgabe nun von diesem gelebten Sprachkonzept abweichen. Ein Politiker sei nun eine ‚männliche Person, die ein politisches Amt ausübt‘, selbiges gelte bereits für den Arzt oder den Mieter. Alle 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen der Online-Datenbank sollen in dieser Art geändert werden, erfuhr die ‚Welt‘ auf Anfrage vom Verlag des Duden[5].“

Was wird der Chefredakteurin des Duden nun vorgeworfen? Auf Wörterbuchebene will sie nach fast 50 Jahren feministischer Sprachkritik das generische Maskulinum in der Definition von Personenbezeichnungen – und nur in dieser – abschaffen. Männliche Personenbezeichungen werden ganz richtig als maskulin und nicht allgemeinmenschlich definiert. Ein Arzt,[6] der in der Regel als allgemeinmenschlich und damit als jemand, der nach dem Medizinstudiumund klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung erhalten hat, definiert wird, wird im Online-Duden als nur männlich beschrieben. Er ist nun einmal ein Maskulinum und ist biologisch und grammatisch männlich, dementsprechend konform fällt auch die Artikelbeschreibung aus. Ein Arzt, ist eine männliche Person, die (…)[7]etwas tut oder erhalten hat und nicht mehr unbestimmt jemand, der für alle grundsätzlich steht, trotz des eindeutigen maskulinen Genus.

Eine Artikeldefinition sollte wertneutral deskriptiv in der Definition verfahren und nicht gleichzeitig den generischen Sprachgebrauch einer männlichen Form im Wörterbuchartikel „mitverarbeiten“. Dies differenziert und auf der Höhe der Zeit zu tun, ist das Verdienst der Redaktionsleiterin Kunkel-Razum. Denn zusätzlich zur Artikeldefinition wird das Lemma Arzt in seinem generischen Gebrauch beschrieben und lexikologisch situiert:

„In bestimmten Situationen wird die maskuline Form (z. B. Arzt, Mieter, Bäcker) gebraucht, um damit Personen aller Geschlechter zu bezeichnen. Bei dieser Verwendung ist aber sprachlich nicht immer eindeutig, ob nur männliche Personen gemeint sind oder auch andere. Deswegen wird seit einiger Zeit über sprachliche Alternativen diskutiert (Online-Duden).“

Das generische Maskulinum wird klar durch die drei lexikographischen Ebenen dargestellt: der Verwendungsbeschreibung (1) und dann weiters in verallgemeinernden Beispielsätzen(2)  wie den Arzt fragen, konsultieren oder holen[8] als allumfassend für alle, auch nicht heteromaskuline Mensch*innen, als gültig dargestellt. Darüberhinaus ist die generische Funktion des Arztes noch durch die maskulinen Synonyme (3), die nur für den Arzt gelten, untermauert. So sind Heilkundige*r, Mediziner*in und Therapeut*in als gendersymmetrisch und -repräsentativ zu lesen. Während weitere maskuline Referenzen wie der Doktor, Medikus, Weißkittel, Medizinmann und der Gott oder Halbgott in Weiß nur für den Mann, nicht aber für die Frau und alle Anderen verwendbar. Hier zeigt sich, dass Arzt eine etablierte männliche Berufsbezeichnung ist, die in vielen sprachlichen Registern wie veraltet, scherzhaft, spöttisch, ironisch und umgangssprachlich belegt ist. Dies ist auch ein indirekter Hinweis darauf, dass das Medizinstudium lange nur Männern vorbehalten war. Ärztin bleibt hingegen synonymisch auf verallgemeinernde bzw. fachspezifische Bezeichnungen wie Heilkundige, Medizinerin und Therapeutin beschränkt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Redaktion des Online-Duden auf diesen drei Ebenen Gebrauch (1), Beispielsätze (2) und Synoynme (3) das Maskulinum als generisch und damit als herausragend unter den drei Genera deskriptiv einwandfrei lexikalisiert, und zwar entsprechend des Sprachwandels, der durch die Gleichberechtigung der Frau ausgelöst wurde. Das generische Maskulinum wurde mitnichten abgeschafft und muss auch keineswegs gerettet werden, wie die Tagespost[9] meint. „Rettet das generische Maskulinum“ , und weiter im Untertitel, der Duden schaffe damit „neue Genderungerechtigkeiten statt diese endlich aufzuheben“. 

Diese Forderung der Tagespost nach Aufhebung von Repräsentationen von Geschlecht ist zeitgemäß. Dieser Radikalkur könnte auch zugestimmt werden, wäre die Anerkennung der Emanzipation der Frau und aller nachfolgenden Bewegungen und ihrer sprachlichen Repräsentation nicht so zeitverzögert abgelaufen. Es hat immerhin fast 50 Jahre gedauert, bis die Frau, die als Rechtssubjekt mit dem Ende der 70er Jahre anerkannt war, auch ganz in der Gesellschaft ankam und endlich ihren Weg – in kleinen Schritten zwar – in die Wörterbücher fand. Ein Prozess, der in den nächsten Jahren abgeschlossen sein wird, aber nur in der Online-Ausgabe des Rechtschreibduden. Bis heute gibt es beispielsweise keine klaren und verbindlichen Kongruenzregeln für weibliche Anreden: So steht Frau Bundeskanzlerin noch immer neben Frau Bundeskanzler.

Mit der Anerkennung aller Anderen, die nicht heteromännlich sind, hat der Gang in die Öffentlichkeit und damit in die Allgemeinsprache nicht ganz so lange gedauert. Die lexikalische Umsetzung zuletzt der Intergeschlechtlichen mit dem Adjektiv divers[10] ist ein erster, aber auch nur quantitativer Schritt in die richtige Richtung. Weiters werden alle, die nicht heterosexuell sind, adäquat auf der Wortschatzebene nur vereinzelt als wertneutral, in der Regel  aber vor allem abwertend dargestellt. Neben nur pejorisierenden wie Transe, Tucke oder Schwuchtel sowienoch teilweise pejorisierenden wie Lesbe und Schwuler. Sie wurden durch konsequente Selbstbezeichnung in der Community aus der Abwertung geholt. Inzwischen hat sich aber das Adjektiv schwul umgangssprachlich als neue pejorisierende Bezeichnung für etwas, das in Verdruss, Ärger, Ablehnung hervorrufender Weise schlecht, unattraktiv, uninteressant[11] ist, in der Gesellschaft durchgesetzt.

Solange die Heterofrau nicht als eigenständig neben dem Heteromann und dieser wiederum nur als Mann und nicht gleichzeitig als Mensch, also immer auch gleichzeitig allgemeinmenschlich konzipiert und lexikalisiert ist, kann eine Auflösung der Geschlechter hin zu einer Geschlechtsneutraliät noch nicht die Lösung sein. Denn wie soll sich etwas ändern, wenn nicht der heterosexuelle Mann auf der konzeptionell-sprachlichen Ebene seiner Allgemeinmenschlichkeit „beraubt“ und remaskulinisiert wird. Eine sofortige Auflösung der Geschlechter setzte diese hetero-androzentrische Ordnung im neuen Kleid der Geschlechterneutralität fort – das Heteromännliche bliebe das Allgemeinmenschliche und damit alles beim Alten, wenn nicht davor die Gleichsetzung von Frau und Mann als Unterbegriffe zu Mensch*in erfolgt wäre.

Dieser Fortschreibung des Heteromännlichen als des Allgemeinmenschlichen wirkt die redaktionelle Maßnahme Kunkel-Razums zweifach entgegen. Zum einen durch die klare Artikledefintion männlicher Personenbezeichnungen als maskulin, und zum anderen durch die gleichzeitige eigenständige Artikelaufnahme aller weiblichen Personenreferenzen.


[1] Ärztin, die: weibliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbezeichnung); Herkunft: mittelhochdeutsch arzātinne, arzātīn; Beispiele: die behandelnde Ärztin, die Ärztin um Rat fragen; Online-Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 1,10/04/2021.

[2] „Der gedruckte Duden hinkt der Online-Ausgabe hinterher, und wird es aus Platzgründen wohl noch weiterhin tun, sagt Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum.“ Tschüss, generisches Maskulinum! Online-Duden mit gendersensibler Sparache. Interview von Gabi Wuttke mit Kathrin Kunkel-Razum. Deutschlandfunk Kultur; https://www.deutschlandfunkkultur.de/online-duden-mit-gendersensibler-sprache-tschuess.1013.de.html?dram:article_id=490450, 10/04/2021.

[3] Die aktuellste Auflage des Großen Duden erschien 2012 digital, in der alle femininen Personenbezeichnungen nur Verweisartikel als sind – weibliche Form zu – und alle maskulin generisch lexikalisiert sind – jemand, der – und nicht als – männliche Person, die; GroßerDUDENdig,2012.

[4] ad Genderanalyse asymmetrischer Lexikalisierung der beiden letzten Printausgaben des Großen Duden und (1993-95 + 1999) der letzten des Großen Wahrig (1980-84) vgl. Kap. 2. Die Lexik, 75-158. in: Pober, Maria: Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen. Würzburg: Königshausen&Neumann, 2007.

[5] Rütten, Finn: Warum es anmaßend vom Duden ist, das generische Maskulinum abzuschaffen. Stern, 11/01/2021; https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/duden-schafft-generisches-maskulinum-ab–warum-das-anmassend-ist-9560662.html,10/04/2021.

[6] Arzt, der: Arzt als jemand, der nach dem Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, um Kranke zu behandeln (Berufsbezeichung), GroßerDUDENdig,2012.

[7] Arzt, der: männliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbezeichnung), Online-Duden Die deutsche Rechtschreibung, 1,10/04/2021.

[8] Beispiele: der behandelnde, leitende Arzt; den Arzt fragen, konsultieren, holen; zum Arzt gehen, Online-Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 1,10/04/2021.

[9] Gallina, Marco: Rettet das generische Maskulinum! Mit seiner neuen Regelung schafft der Duden neue Genderungerechtigkeiten statt diese endlich aufzuheben. Kommentar um „5“ vor „12“. Die Tagespost; https://www.die-tagespost.de/gesellschaft/feuilleton/rettet-das-generische-maskulinum;art310,215000,10/04/2021.

[10]intersexuell, Adj: 3. Amtssprache: nicht eindeutig weiblich oder männlich ausgeprägte Geschlechtsmerkmale aufweisend; Beispiel: als drittes Geschlecht ist im Geburtenregister die Angabe „divers“ möglich; Online-Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 1,10/04/2021.

[11] schwul, Adj: 3. Jugendsprache diskriminierend veraltend:in Verdruss, Ärger, Ablehnung hervorrufender Weise schlecht, unattraktiv, uninteressant; Online-Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 1,10/04/2021.